Montag, 25. Dezember 2023

Weihnachten 1945

 Bei dem trüben, nasskaltem und windigen Tagen, habe ich mal nachgedacht, wann meine ersten Erinnerungen an Heiligabend einsetzten. Das war im Jahr 1945 als wir endlich nach der Flucht aus Polen, mit dem Pferdetreck in einem Auffanglager landeten.


 

Die Lager waren nicht so komfortabel wie sie heute den Flüchtlingen angeboten werden. In schnell zusammen gezimmerten Holzbaracken lagen wir wie die die Heringe dicht an dicht auf Stroh, das man eiligst herbei geschafft hatte. Man muß sich das so vorstellen, die Baracken waren ca. 25-30 lang, hatten einen Mittelgang und rechts und links waren die Schlafstätten, es gab keine Privatatmosphäre. Man versuchte mit Koffern, falls man welche hatte, wenigstens zum Nachbarn ein wenig Abstand zu halten. Essen gab es im Blechgeschirr aus einer Küche, die ebenfalls in einer "Kochbaracke" untergebracht war. Wenn es Essen gab, dann fuhr der Essenswagen durch den Mittelgang und jeder hielt sein Geschirr bereit. Es gab überwiegend Steckrüben dick mit Graupen gekocht. Wie lange wir dort waren, weiß ich nicht mehr, aber dass wir dort ein Weihnachten verbrachten, das weiß ich noch. Es wurde ein großer Tannenbaum in den Mittelgang gestellt, natürlich ohne Kerzen, wäre viel zu gefährlich gewesen. Geschmückt wurde der mit dem was jeder so beitragen konnte, aus Papier klebten wir Ketten zusammen die über den Baum verteilt wurden. Kleine Wattebäusche sollten Schnee darstellen. Wenn ich sagte klebten, dann war es eine Mehlpampe, irgend jemand hatte Mehl ergattert. Die größte Überraschung war folgende Ankündigung:" An alle Kinder: Der Weihnachtsmann kommt und hat für jedes Kind etwas dabei," Jubel brach aus, alle waren gespannt. Dann war es soweit, polternd und schnaufend kam der Weihnachtsmann mit Helfern und überreichte jedem Kind bis zu 10 Jahren einen Baukasten, egal ob Junge oder Mädchen. Es war kein gewöhnlicher Baukasten, die Bauklötze waren aus Sandstein, bunt angemalt und wunderschön. Nachdem alle ihren Kasten hatten, die älteren Kinder bekamen glaube ich, Buntstifte und einen Malblock, wurden noch Wehnachtslieder gesungen. Einige hatten Mundharmonikas, andere nahmen Kämme, streiften ein Stück Papier darüber und summten die Melodien mit, es war für uns Kinder überwältigend, so viele Stimmen und so wunderbare Lieder. Damals kannte man nicht nur die erste Strophe eines Liedes, man kannte alle. Fast vergessen hätte ich noch, ein paar Äpfel gab es auch, ein paar Lebkuchen und das für Groß und Klein. Danach wurde gebaut, man hütete die Klötzchen, keines durfte verloren gehen, am Anschluss wurden sie alle wieder in den Kasten zurück beordert, was nicht so einfach war, alles mußte genau passen. Ja, an dieses Weihnachtsfest kann ich mich noch gut erinnern. Vor einigen Jahren fand ich auf einem Flohmarkt so einen wertvollen Baukasten wieder, wo meiner geblieben ist, weiß ich nicht mehr, aber er wäre ein kleines Vermögen wert.

 

Macht es euch noch gemütlich, es gibt nur noch wenige Stunden, dann kommt schon wieder das nächste Ereignis, Sylvester.


12 Kommentare:

  1. Liebe Edith,
    wer das nicht selbst erlebt hat, kann es kaum nachvollziehen. Meine Kindheit war da schon sehr behütet. An die beiden ersten Jahre, als wir wegen der Amis im Haus noch ausquartiert waren, kann ich mich sowieso nicht erinnern. Lager kennt allerdings mein Mann. Er ist ja als Junge mit der Familie aus der damaligen Ostzone geflohen. Und etliche Male umgezogen, bis die Familie in der Nähe von Frankfurt gelandet ist. Seine älteren Geschwister sind unterwegs "abhanden" gekommen: der Bruder in West-Berlin, die Schwester in Tübingen. Dagegen war ich mein Leben lang eine echte "Immobilie" 😂.
    Liebe Grüße – Elke

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    1. Wenn ich so Rückschau halte, frage ich mich immer wieder, wie haben wir das alles überstanden. Dann hat dein Mann ja auch eine Flucht hinter sich und weiß wie das ist. Es haben sich am Rand des Trecks dramatische Szenen abgespielt, tote Babys mußten einfach im Schnee begraben werden, das dazu weil du von Geschwistern erzählst die anhanden gekommen sind. Wir sind durch die schreckliche Zeit noch gut davon gekommen, woanders sieht z.Zt. so ähnlich aus.
      Liebe Grüße
      Edith

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    2. Das mit dem"abhanden gekommen" bitte nicht missverstehen. Beide Geschwister leben noch. Die Familie ist nur in Westdeutschland dann sooft umgezogen, dass sie sich quasi aufgesplittet hatte, bevor sie dann in der Nähe von Frankfurt endlich sesshaft wurden.
      Lieben Gruß - Elke

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    3. Da bin ich aber froh, dass meine Annahme nicht stimmt. Aber solche Situationen gab es, ich selber habe das nicht mitbekommen, meine ältere Schwester hat es mir erzählt.
      Lieber Gruß
      Edith

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  2. Liebe Edith, wir sind froh und dankbar, dass wir an Weihnachten eine warme Wohnung und ausreichend Essen haben. Man vergisst, dass es Menschen gibt, denen es nicht so gut geht.
    Vielen Dank für die Erinnerungen an eine Zeit, in der man froh war, wenn man überleben konnte. Ich habe Deinen Beitrag mit großem Interesse gelesen und wünsche Dir einen schönen Weihnachtsfeiertag.
    Liebe Grüße von Ingrid, der Pfälzerin

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  3. Damals war eine einfache Baracke schon ein Stück Heimat gewesen, nicht mehr unterwegs zu sein war schon fast eine Idylle. Heute gibt es nicht weit von uns genau diese Situation, Menschen auf der Flucht, wir müssen hilflos zushen. Dabei könnte es so schön sein wenn es nicht den Hass und den Neid in dieser Welt gebe. Verbreiten wir wenigstens in unserem Umfeld eine friedliche Stimmung.
    Dir noch einen Restfeiertag
    liebe Grüße
    Edith

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  4. Ich kenne das auch nur aus Erzählungen, wobei meine Eltern nie auf der Flucht waren. Meine Mutter und ihre Familie waren ausgebombt, mein Großvater war bis in die 50er in russischer Kriegsgefangenschaft. Die Mutter meines Mannes war auf der Flucht und muss schreckliches erlebt haben. Die heutigen Auffanglager sind zwar auch alles andere als luxoriös, von Privatsphäre kann man da auch nicht reden, aber sie sind sicherlich um einiges erträglicher als die, die es hier nach dem Krieg gab. Egal, wann und wo auf der Welt, fliehen zu müssen, ist immer traumatisch und das macht keiner ohne Grund. Ich wünsche Dir noch einen friedvollen 2. Weihnachtsfeiertag-

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  5. Genau, flüchten macht keiner ohne Grund, wären wir geblieben gäbe es uns nicht, oder wir wären Polen geworden. Ausgebomt oder in Gefangenschaft war für alle eine häßliche Zeit. Nun sind die Tage schon wieder rum und ich hoffe, du bist gut damit klargekommen.
    Ganz liebe Grüße
    Edith

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  6. Liebe Edith,
    deine Erzählung berührt mich sehr. Ich habe das ja persönlich auch nicht miterlebt, da ich erst 1949 geboren wurde.
    Meine Mutter und ihre Mutter sind im März 1946 mit meinem Bruder, der 3 Monate alt war, aus Waldenburg hier nach Berlin gekommen. Mein Vater war schon vorher hier. Unterschlupf haben sie in einer Gartenlaube gefunden. Wie lange sie dort waren, weiß ich nicht mehr. Irgendwann haben sie dann zur Untermiete gewohnt.
    Daran kann ich mich aber nicht mehr erinnern. Das weiß ich auch nur von Erzählungen.
    Meine Erinnerungen an Weihnachten setzen erst ein, als wir dann schon eine eigene Wohnung für uns hatten.
    Liebe Grüße
    Jutta

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  7. Diese schlimme Zeit haben wir hinter uns, andere Länder stecken mitten drin. Ich bin dankbar, dass ich das alles gut überstanden habe. Als Kind hat man sich ja nicht diese Sorgen gemacht ,die die Erwachsenen gehabt haben.
    Liebe Grüße
    Edith

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  8. Liebe Edith,

    dieser Post hat uns sehr berührt und sollte viele Menschen nachdenklich machen. Wie gut dass Du alles wohlbehalten überstanden hast.

    Liebe Grüße
    Kerstin und Helga

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  9. So wie mir ist es vielen damals ergangen, nun liegt alles weit zurück und klingt angesichts der momentanen Lage in der Welt wieder ganz aktuell.
    Gruß Edith

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